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Intendanten

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Elert Bode (1970-1976)

Autor: Friedhelm Röttger

Ein Originalbeitrag anlässlich
des 100-jährigen Jubiläums 2019

Der Abschied der Tenöre oder Die Zeit der Kürzel und der Demokraten
Ende Oktober 1969 erkor mich der Verwaltungsrat der Württembergischen Landesbühne zum Nachfolger des nach Würzburg berufenen Joachim von Groeling, der mich knapp sieben Jahre zuvor an gleicher Stelle in gleicher Sache im Endspurt auf den zweiten Platz verwiesen hatte. Mit den Esslinger Rathaus-Oberen aber hatte ich wenig Glück. Nachdem mich im Januar 1963 Dieter Roser abgelehnt hatte, zu energisch wohl hatte sich der damals 29jährige Bewerber um das Intendanten-Amt gegen vorstädtische Opern-Ambitionen verwahrt (Wolf Donndorf, seinerzeit Leiter der Abteilung Kunst im Kultusministerium, erzählte Jahre später in weinseliger Runde, der Bode hätte zur Bekräftigung seiner Argumente energisch mit der Faust auf den Tisch gehauen), diesmal versagte mir Eberhard Klapproth seine Stimme. Wir sind dann aber doch ganz gut miteinander ausgekommen.

War ich also im ersten Anlauf über meine unverhohlene Abneigung gegen „Troubadoure“ im kleinen Esslinger Stadttheater gestolpert, inzwischen waren sie’s selbst. Gegen den heftigen Protest des Oberbürgermeisters wurde ich mit den Stuttgarter Ministerialbeamten im Verwaltungsrat schnell einig, daß die musikalischen Musen geopfert werden mußten, sollten die Finanzen der Landesbühne nicht mit wachsendem Tempo in die roten Zahlen rutschen. Auch Tenöre bescheidener Stimmstärke waren im Lauf der Jahre immer teurer geworden, Orchestermusiker ebenso. Es ist nicht zu bestreiten, daß ein Teil des Publikums, zumal draußen im Lande, seinen Millöcker oder Benatzky innig liebte (Mozart und Verdi waren inzwischen doch weiser Selbstbescheidung zum Opfer gefallen), wirtschaftlich wie künstlerisch schienen uns solche Aufführungen nicht mehr vertretbar, die gewandelten Verhältnisse waren stärker als der respektable Elan des Musikdirektors Werner Krause, Initiator und Motor dieser Sparte seit Anfang der Fünfziger Jahre, den ich mir, menschlich allzu plausibel, mit der Entscheidung gegen seine Arbeit nicht zum Freunde machte. So war schon in den ersten Tagen und Wochen nach meiner Wahl der unschönste Krach da: Leserbriefe in den Zeitungen, Bürgermeister verschiedener Spielorte drohten geharnischten Widerstand an, in den laufenden Operetten-Vorstellungen wurde das Publikum zur Solidarisierung gegen diese kulturpolitische „Bevormundung“ aufgerufen, mit bewegten Worten der unaufhaltsame Niedergang der Landesbühne beschrieben. Es galt nun, die düsteren Propheten im Schwabenlande zu widerlegen. Damit hatte ich mir allerhand aufgeladen, denn mit dem Abschied der Tenöre war nur eines, wenngleich auch ein wesentliches, der vorwiegend hausgemachten Existenz-Probleme aus der Welt zu schaffen. Leider gab’s auch mit den Schauspiel-Produktionen, so interessant sie für eine Minderheit zweifellos gewesen sind, eine Menge Kummer. Das ehrgeizige Engagement meines Vorgängers und seines Dramaturgen Rademaker für die zeitgenössische Dramatik war zunehmend auf Zurückhaltung des Publikums, genauer auf deutliche Verweigerung gestoßen. Drei Inszenierungen der Spielzeit 1969/70, kurz vor meinem Dienstantritt also, verstärkten den Exodus der Zuschauer bedenklich (…) [und] nahmen auch geduldigeren Theatergängern Mut und Lust, ein Abonnement für die erste Spielzeit des „Neuen“, damals zudem noch mit dem Ruch der Jugend behaftet, zu zeichnen. Ungut standen die Sterne über der alten Scheuer, Konsolidierung hieß die Parole, die ich ausgeben mußte. Und so hatte ich, jahrelang mit gänzlich anderem Rufe geschlagen, über Nacht das Etikett „konservativ“ am Revers.

Die Freude auf meine neue Arbeit konnten mir alle diese Schwierigkeiten nicht nehmen. Dabei stützte ich mich auf das Vertrauen des Ensembles, dem ich meines bewiesen hatte, indem niemandem der blaue Brief der „Nichtverlängerung des Vertrages“ geschrieben wurde. Sinnvolle personelle Veränderungen ergaben sich durch die natürliche Fluktuation, wie sie alljährlich in jedem Provinztheater ohnehin stattfindet, also die arrogante tabula rasa, die so manchen Intendantenwechsel in negatives Gerede bringt, schlicht als überflüssig charakterisiert. Wir blieben zusammen. Und bereuten es nicht. Außerdem: Es war ja anständig gearbeitet worden in den Jahren zuvor, ernsthaft, einfallsreich, durchaus unprovinziell – nur eben am Publikum dieses Theaters in dieser Region vorbei, den Schauspielern, den Technikern, den Leuten der Verwaltung war dies nicht oder nur sehr bedingt anzulasten.

Wenn Schwierigkeiten binden – wir hatten genug!
Das Vertrauen in die Arbeit der Württembergischen Landesbühne (nach seinerzeit modischem Muster von uns mit dem flotten Kürzel WLB versehen) mußte ohne plumpe Anbiederung zurückgewonnen werden. Gleichzeitig war eine Branche im Süden Deutschlands auf dem Vormarsch, die eben letzteres erfolgsträchtig praktizierte; ich meine die Tournee-Theater, vornehmlich das eines Schweizer Brüderpaares, dessen dubiose Praktiken uns das Leben weidlich schwer machen sollten. Manchen biederen Leuten im Ländle war die alte Landesbühne plötzlich zu bieder, auch in Hünkelsbronn und Lüderhausen wollten sie partizipieren am Film- und Fernseh-Flitter, ihr kleines kulturelles Angebot mit großem Namen aufpolieren. Darauf mußten wir reagieren. Und taten’s ebenso simpel wie wirksam, durch die Verpflichtung prominenter Schauspieler, bei uns jedoch nicht von billigen Stichwortgebern attachiert (was ja manchen „Stars“ so unlieb gar nicht ist), sondern integriert in ein qualifiziertes Ensemble. Gern denke ich an die Gastspiele von Ruth Hausmeister („Der Besuch der alten Dame“), Tilly Lauenstein und Robert Freitag („Frau Warrens Gewerbe“), Adelheid Seeck („Geliebter Lügner“), Walter Gross („Schönes Weekend, Mr. Bennett“), Barbara Rütting („Play Strindberg“), an zwei Moliere-Inszenierungen mit Dirk Dautzenberg („Der eingebildete Kranke“ und „Tartuffe“); nach genau 50 Jahren kam ein Schauspielanfänger von 1921 auf die Landesbühne-Bretter als berühmter Gast zurück: Gustav Fröhlich, Star in 130 Streifen der Stumm- und Tonfilm-Zeit, spielte den jüdischen Trödler Salomon in Millers „Preis“. Indem wir diese Keile auf den groben Tournee-Theater-Klotz setzten, konnte gefährdetes oder kurzfristig verlorenes Terrain des über Jahrzehnte angestammten, vordem nahezu konkurrenzlos beherrschten Spielgebietes relativ schnell wieder stabilisiert und manches Sympathie-Defizit ausgeglichen werden.

[Ebenso] machten die Wirkungen der 68-er-Bewegung auch vor unserem Bühneneingang nicht halt: Flammende Mitbestimmungs-Debatten, nicht ungeschickt geschürt von politischen Kräften außerhalb unseres Hauses, erschütterten auch bei uns den betrieblichen Frieden über geraume Zeit, erwiesen sich auch hier mehr lähmend denn die gemeinsame Arbeit befeuernd. (…)
Nicht die erfahrenen Kollegen drängten auf aktive Beteiligung an Entscheidungsprozessen über Spielplan und Besetzungen, auch Gagen; in vorderster Linie waren es die Jungen, die Neuen im Ensemble, denen Gerabronn und Kirchheim unter Teck noch „böhmische Dörfer“ waren, die nur widerwillig einsehen mochten, daß zwischen einer Landesbühne, einem Staatstheater und einer freien Gruppe vielfache Unterschiede bestehen. Wie schwer ist es gewesen, ideologisierten Eiferern, die es auch gab, klarzumachen, daß Autoren und Stoffe, die im Stuttgarter Schloßgarten von Peter Palitzsch, damals Chef des Kleinen Hauses, mit hoher Qualität und persönlicher Energie gerade noch durchzusetzen waren, deplaziert sein mußten in Geislingen an der Steige; daß nach geltendem Recht der Intendant für Wohl und Wehe des ihm anvertrauten Theaters haftet (mein Vorgänger ist einem persönlichen Regreß um Haaresbreite entgangen), können Entscheidungen nur dann geteilt werden, wenn sie mitverantwortlich getragen werden. Eben dieses ließen und lassen die Buchstaben der Gesetze nicht zu. Der Verkünder so einfacher Wahrheiten hatte es nicht ganz einfach damals. Inzwischen sind die Versuche, Mitbestimmung im Theaterbetrieb zu praktizieren, schmerzhaft gescheitert.

Diese Retrospektive stimmt fast ein bißchen wehmütig. Uns machte das Leben schwer, daß auch im Theater ein bißchen mehr „Demokratie gewagt“ werden sollte – im theoretischen Ansatz doch keine schlechte Sache, um die mit harten Bandagen gekämpft wurde; ein Jahrzehnt später geht der Kampf an manchen Bühnen allein ums nackte Überleben. Ich halte das für keinen Fortschritt. (…)
Zugunsten meiner Bewerbung bei der Intendanten-Wahl 1969 hatten auch meine Erfahrungen im Theaterbau gesprochen. Ein solches Projekt war in den Jahren zuvor immer wieder in Esslingen diskutiert worden, zumal sich der um 1963 vollzogene Erweiterungsbau des alten Theaterchens ästhetisch wie funktional sehr bald als allzu bescheidenes Flickwerk erwiesen hatte. Eine Delegation Esslinger Gemeinderäte hatte unter anderem den Neubau der Westfälischen Kammerspiele in Paderborn, mein „Frühwerk“, besichtigt und für interessant befunden. Jetzt sollten auch am Neckar Nägel mit Köpfen gemacht werden. Heute wissen wir: Es dauerte noch ein Weilchen, obwohl seinerzeit emsig Sitzungen über Fragen des Standorts, der Finanzierung und andere „brandaktuelle“ Themen abgehalten wurden. Eine fast rührende Betriebsamkeit war ausgebrochen (…)
[Eines] sachkundigen Baumeisters konkrete Offerte, der Stadt zum Festpreis von 14 Millionen DM, wir schrieben 1971, einen Theaterbau mit 650 Plätzen hinzustellen, unter dessen Dach auch ausreichend Platz für Werkstätten und Verwaltung gewesen wäre, stieß leider auf keine Gegenliebe. Schwamm drüber!

Fast unschwäbischer Hektik folgte das große Schweigen. Dem erlahmten Elan der Stadtväter begegnete ich mit dem Hinweis auf die Fruchtlosigkeit, sich späterhin nochmals mit solchem Projekt zu befassen, wenn nicht einigermaßen Entscheidendes geschehe, um die Leute wenigstens in absehbarer Zukunft bei der Stange zu halten; ich vermochte mir nicht vorzustellen, daß der Arme-Leute-Geruch des alten Stadttheaters das Wohlstands-Klima der siebziger Jahre überdauern könnte, meinte, im Laufe der Zeit würde auch der letzte Zuschauer erkannt haben, daß sich’s in der fünfzehn Autominuten entfernten Landeshauptstadt sehr angenehm ins Theater gehen läßt. Dieser Appell wurde glücklicherweise begriffen.

Nachdem wir im November 1971 das „Studio am Blarerplatz“ eingeweiht hatten (den feuchtkalten Theaterkeller in der Webergasse mußten wir aufgeben, Zuschauer wie Schauspieler hatten dort auf Dauer nur geringe Überlebenschancen), wurden Anfang 1972 die Mittel für eine sichtbare kosmetische Aufwertung des Zuschauer-Bereichs im alten Haus bereitgestellt; 200.000,- DM waren’s wohl. Mangelnde Finanzkraft war somit durch Geschmack zu kompensieren – Bruno Fischer, unser Architekt, hat ihn bewiesen. Gerade weil sein Arbeit nur wenige Jahre überlebte, sollte an sie erinnert werden: Licht, Glas und Textilien gaben dem Theater festliches Gepräge ohne Spießigkeit, falschen Glanz; Harmonie herrschte in den Farben, endlich konnten wir unseren Zuschauern einen bequemen, auch im Design schönen Theatersessel anbieten; im erweiterten Foyer wurde eine Raucherzone geschaffen (vierzig Jahre lang hatten die Esslinger ihre Pausen-Zigarette auf der Straße rauchen müssen), selbst zu einem neuen Fassaden-Anstrich reichte es noch. Und dieses ganze Programm realisierten wir, um Belastungen des Betriebes und Einnahme-Ausfälle zu vermeiden, in den sechswöchigen Theaterferien! Wir waren nicht wenig stolz.

Die Esslinger erwärmten sich zusehends wieder für ihre Landesbühne. Das Schildchen „Ausverkauft“ an der Kasse wurde bald zur Regel, obwohl wir unsere Präsenz am Standort (und dies nicht zu Lasten unserer Aufgaben im Lande) kontinuierlich erhöhten – wir spielten im Schauspielhaus und im Studio etwa 260 Vorstellungen im Spieljahr. Klapproth und seine steuerzahlenden Bürger sollten nie vergessen: Sie haben das billigste Stadttheater Europas! Und dabei nicht das schlechteste.

Eine runde Million Zuschauer erreichten wir mit 3208 Vorstellungen in unserem Spielbereich in jenen sechs Jahren; 70 Premieren fanden im Schauspielhaus statt, 26 auf der Studio-Bühne, sechs im Kindertheater. Fleißig waren wir. Auch gut? Ich erinnere mich zumindest sehr guter Kollegen, mit denen zu arbeiten eine Freude war: Horst Taler, Toni Linder, Walter Lenz, Klaus Lerm, Isa Schlubach und Kulle Wendolin, Dr. Scherzer, Knut Hetzer, Sabine Hesse, Jürgen Kötter, Winfried Stahlke, Ursel Hastedt, Martin Prior, Sibylle Nicolai … (…)
Es konnte mein Selbstverständnis nicht beschädigen, daß Tübingens Landestheater, LTT genannt, die andere große Wanderbühne Baden-Württembergs, in der veröffentlichten Meinung höher im Kurse stand. Beilharz’ Rezept, Hans Dieter Schwarzes Ruhrgebiets-WLT am Neckar formal und inhaltlich neu aufzulegen, ist zumindest eine Zeitlang aufgegangen; später sanken Besucher- und Aufführungsziffern deutlich, während die unseren stiegen. Ich stelle das fest: Statistisch, nicht wertend. Wir aber mußten leben mit dem Vorwurf, unser Publikum zu unverbindlich zu bedienen, unpolitisch, bürgerliches Bildungs- und Lach-Theater zu produzieren.

Solches läßt sich trefflich formulieren. Ob auch immer treffend?
Über sechs Jahrzehnte besteht die WLB, die in ihren Anfängen so gemütlich Schwäbische Volksbühne hieß; seit 50 Jahren ist sie in Esslingen zu Hause. Seitdem lebt sie im Widerstreit ihrer Aufgaben: Hier Stadttheater für ein Publikum mit großstädtischen Ansprüchen, denn die Mauern der alten Reichsstadt sind lange geschleift, Stuttgarts Bühnen durch Schnellstraßen und S-Bahnen immer näher gerückt; dort als Landesbühne die Bespielung von Kleinstädten und größeren Dörfern. Da kann nicht jeder jeden Tag glücklich gemacht werden. Zu respektieren bleibt wohl der Versuch. Ich habe ihn unternommen: sechs Jahre lang. Und war glücklich dabei.
(Elert Bode, in: Stadttheater Esslingen, Sitz der Württembergischen Landesbühne. Festschrift anlässlich des Neubaus, 1982, S.106 ff.)
* * *
„Ich habe angenommen. Sehr schweren Herzens. Doch das Kind, das ich großgezogen habe, ist erwachsen. Als Fünfunddreißigjähriger mit einer 13jährigen Tätigkeit in Paderborn schien mir ein Wechsel für mich angebracht“.
Das Kind, von dem in diesem Artikel, einem „Nachruf“ auf den scheidenden Intendanten Elert Bode, erschienen am 31. Oktober 1969 in der „Neuen Westfälischen“, die Rede ist, dieses Kind ist kein leibliches: Es handelt sich um ein Theaterkind, das der zur Esslinger WLB Wechselnde mit Verve großgezogen hat: die Westfälischen Kammerspiele in Paderborn. Man nimmt Theodor Schroedter, Autor dieses Zeitungsartikels, sein weinendes und sein lachendes Auge ab, wenn er am Ende resümiert: „Es wird sich zeigen müssen, wie sich dieses erwachsene Kind ohne den Vater, der bisher alle Verantwortung trug, weiter entwickeln wird. Mehr als er erreicht hat, ist vorläufig nicht zu erreichen. Elert Bode strebt nach Erreichbarem. Im württembergischen Esslingen. Die Landesbühne ist zu ihrem künftigen Intendanten zu beglückwünschen“.

Ein frommer Wunsch aus Sicht des Paderborner Theaterkritikers; in Esslingen muss dagegen der Neue aus dem Norden im Februar 1970 in einer Pressekonferenz der Württembergischen Landesbühne erst einmal schlucken, als ihm der Leiter des Kulturamts, Rudolf Olsen, prophezeite, dass der Weg schmal sei, den der „Intendant der Landesbühne wird gehen müssen“. Ohlsen zitierend, schrieb die Eßlinger Zeitung in ihrem Beitrag vom 28. Februar 1970, man müsse vermeiden, das Theater finanziell an den Rand des Abgrunds zu bringen, könne aber – bei aller Pflege des Unterhaltungs- und Bildungstheaters – auch an der modernen, problematischen und aggressiven Literatur nicht vorbeigehen.
Gewiss, auch Bodes unmittelbare Vorgänger, Joachim von Groeling, Wilhelm List-Diehl, Haaß-Berkow, standen auf der Bühne als Schauspieler; doch in erster Linie sahen sie sich in der Rolle des Theaterleiters, des Intendanten. Bode verschiebt die Akzente: „Ich bin ein Schauspieler, der ein Theater leitet, und ich werde mich auch hier als solcher begreifen. Das Theater, so meine ich, hat gar nichts zu tun mit ideologischem Über- und Unterbau, sondern einzig und allein mit Fleiß und Können. Ich will ein Theater machen, das dem Publikum wie der Zeit gleichermaßen nahe bleibt. Für mich gibt es nur ein Kriterium: Qualität.“

Bodes Selbstverständnis kam um Kompromisse im Spielplan nicht herum, denn die Landesbühne war gehalten, innerhalb der nächsten beiden Jahre ihr Defizit abzubauen, und darum „mussten wir ausschließen, was den Publikumserfolg ausschließt“. Eine Erklärung, die bei der Eßlinger Zeitung nur bedingt Anklang fand: „Nur hätte sich manch einer im bunt gemischten Auditorium (der Pressekonferenz) etwas mehr Wagemut und Unternehmungslust gewünscht als immer wieder nur den Hinweis auf ungünstige technische Voraussetzungen, auf „einigermaßen beschränkte künstlerische Möglichkeiten und einen Wallenstein, den man augenblicklich in Esslingen so wenig habe wie auf der Bühne Platz für den Wagen der Mutter Courage“.

Sechs Jahre später waren die oben geäußerten Bedenken wie verflogen. Bei der Pressekonferenz am 18.2.1976, anlässlich der Verabschiedung von Elert Bode, der schon auf dem Sprung war zu seiner künftigen Wirkungsstätte, der Stuttgarter Komödie im Marquardt, verzichtete Dieter Deuschle, damals Leiter des Esslinger Rechtsamts (ab 1983 Erster Bürgermeister), auf Notengebung. In seiner kurzen Rede hielt er sich lieber an Zahlen und Fakten, die – und sei es nur indirekt – auch Aufschluss geben über die Kompetenz des scheidenden Intendanten. Wenngleich er sich auf die Bühnenvereins-Statistik von 1973/74 berief (eine aktuellere lag zum damaligen Zeitpunkt noch nicht vor), wurde eine Tendenz zur Konsolidierung der WLB doch deutlich ablesbar:

„Die Landesbühne lag mit einem Betriebszuschuß je Besucher von 15,07 DM (Vergleiche Staatstheater Stuttgart 46,66, Landestheater Tübingen 19,77 DM), ziemlich am Ende aller bundesrepublikanischen Theater. Mit 569 Schauspiel- und Studioaufführungen mit 179.521 Besuchern entsprach das einer Platzausnutzung von weit über 80 Prozent. Damit rangierte die Landesbühne weit im oberen Viertel der deutschsprachigen Theater.“
Eine ansehnliche Bilanz, die allerdings die Schieflage weder kaschieren mochte noch konnte, in die Joachim von Groeling und seine vehemente Öffnung der WLB für das zeitgenössische Theater das Schauspielhaus gebracht hatte. So war, eine schwerwiegende Randnotiz, in Deuschles Text von einer „existenzbedrohenden Talsohle“ die Rede, aus der Bode die WLB herausgeführt hatte.

Obgleich Stücke von Brecht, Handke, Ionesco, Mrozek, Pinter, Walser und Heiner Müller in den Spielplänen auftauchten, war das Schauspielprogramm Elert Bodes ein bewahrendes, ein in gutem Sinne „konservatives“ Programm, in dem natürlich auch die musikalische Komödie ihren jährlichen Platz fand. Schließlich waren nach dem Aufbruch der von Groeling-Jahre Konsolidierung des Hauses und der Publikumszuspruch das Gebot der Stunde. Elert Bode eröffnete seine erste Spielzeit mit „Kabale und Liebe“, das an den Gegensätzen zwischen Bürgertum und Adel sich entzündende Trauerspiel vor dem Hintergrund der Aufklärung. Aufklärung ja, so die Devise des Intendanten, aber kein verstörendes, den Theaterbesucher abschreckendes Affront-Theater. Die letzte Inszenierung seiner Esslinger Intendanz war Peter Shaffers „Komödie im Dunkeln“.

Und Elert Bode, der erklärtermaßen keine Angst vor dem Boulevardtheater hatte, übernahm 1976 die Intendanz der Stuttgarter Komödie im Marquardt und 1984 zusätzlich die des Alten Schauspielhauses in der Kleinen Königstraße 9. Seinen Wechsel von Esslingen nach Stuttgart erläuterte er in einem Kurzinterview mit den Stuttgarter Nachrichten: „Im Herbst 1976 werde ich 20 Jahre lang Praxis in der Provinz haben, ich glaube das reicht an Erfahrung, um mich als Facharzt in der Großstadt niederlassen zu können“.

Mit dieser „Niederlassung“ einverstanden war auch Ministerialdirigent Hannes Rettich. In seinen „Erinnerungen eines musischen Bürokraten“ erwähnte er ausdrücklich Elert Bode: Mit ihm „verbindet mich nicht nur eine jahrzehntelange harmonische Partnerschaft schon seit seiner Esslinger Intendantenzeit, sondern vor allem auch unsere gemeinsame Liebe zu Jean Anouilh, dem verächtlich mit ,Boulevardier’ Abgestempelten“, obwohl, so Rettich, „es kein moderneres Stück des 20. Jahrhunderts gibt, das das aktuelle Thema vom Konflikt zwischen Staatsmacht und Individuum so anschaulich schildert wie Anouilhs „Antigone“.

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